Art Sells
Zwei Jahre nach der Eröffnung des ersten Wein-Themenparks in Österreich (architektur. aktuell 11/2003) wurde die Anlage nun mit einem Hotel vervollständigt. Das anspruchsvolle Gesamtkonzept will touristische. kulinarische und kulturelle Annehmlichkeiten auf hohem Niveau verbinden - und dabei auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Der Architekturanteil dieser Idee ist jedenfalls gelungen und könnte im Tourismus überregional neue Wege weisen.
Strukturprobleme im Tourismusdorado
Die rationalen Grundsatzüberlegungen. die zum Wagnis einer neuen, architektonisch anspruchsvollen Tourismuseinrichtung führten, bezogen sich zunächst auf infrastrukturelle Aspekte. Das Weinbau- und Ausflugsgebiet Wachau, ein traditioneller Mittelpunkt von Österreichs Selbstverständnis als Kultrnation, verfügt kaum über Einrichtungen, die einer vertieften Begegnung größerer Besuchermengen mit dem immanenten Wein Thema der Region die nötigen Kapazitäten bieten kann. Es bedarf dazu der Unterhaltung, eines großen gastronomischen Platzangebots und einer optimalen Verkehrsanbindung. Im Zentrum der Wachau, also etwa in den bekannten Orten Dürnstein oder Weißenkirchen, können die alten Strukturen und die topographische Beengung des Donautals diese Anforderungen des heutigen qualitätsorientierten Massentourismus kaum mehr erfüllen. Aber am offeneren östlichen Rande des Gebiets, in Krems oder in der kleinen Barockstadt Langenlois. die plakativ rundum von großflächigen Weingärten umgeben ist, sind die Voraussetzungen für eine derartige Nachrüstung wesentlich günstiger. In Krems hat man mit dem umgebauten Kloster und (architektur.aktuell 11/2003) einen Akzent in diese Richtung gesetzt, der vor allem auf den Gourmet- und Seminartourismus abgestimmt ist. In Langenlois hingegen konnte mit dem Loisium jenes touristische Marktsegment erfolgreich angesprochen werden, das mittels Tagesausflügen Entspannung und dosierte Information sucht.
Neues Tourismus-Design
Die professionell geplante Realisierung brachte dann eine Reihe von Überraschungen für Dogmatiker unter den Tourismus und Architekturexperten. Denn das Loisium bewies, dass eine derartig "synthetische" Tourismuseinrichtung in der Qualität nicht hinter gewachsenen Strukturen zurückbleiben muss, ja sie in vielen Bereichen sogar klar überbieten kann. Kaum sonst wo in der Wachau findet man ein stimmigeres, zeitgenössisch orientiertes Ambiente, nirgendwo sonst eine engagiertere, ja spektakuläre architektonische Formulierung von Programm und Image der Einrichtung. Wenn auch der Genius Loci in den jahrhundertealten, labyrinthischen Weinkellern unter der Erde von Schweizer Tourismus-Szenegraphen in einen seichten Effekt-Parcours verwandelt wurde, so konnte mit einem revitalisierten Barockhaus samt Wirtschaftstrakt am Ende dieser „Erlebniswelt" doch wieder ein Stück Authentizität in das Ensemble gebracht werden. Und am Beginn des Rundgangs durch die Keller, die als Hauptattraktion des Loisiums dienen, steht das vom New Yorker Architekten Steven Holl errichtete Besucherzentrum samt Cafe, Vinothek und Shop. Holl war den Bauherren verdienstvoller Weise vom Architekturzentrum Wien empfohlen worden und konnte mit Hilfe der lokalen Architekten Irene Ott-Reinisch und Franz Sam, der seit seinen Zeiten bei Coop Himmelb(l)au selbst forcierteste Konstruktionsspektakel baulich präzise umsetzen kann, ein expressives Konzept dramatischer Raumschluchten innerhalb eines von schmalen Öffnungsschlitzen durchzogenen, schräg stehenden Betonkubus mit wenigen inneren Stützwänden nahezu unverändert realisieren. Der Image-Erfolg in Fach- und Massenmedien war damit garantiert. Auch wirtschaftlich scheint diese erste Phase - zumindest laut Eigenwerbung der Betreiber - befriedigend zu verlaufen, da "der Erlös pro Gast um 20 Prozent über Plan liegt. Auch die gestiegene Verweildauer pro Gast auf zwei Stunden zeigt uns, dass das gesamte Angebot aus Attraktion, Vinothek, Shop und Gastronomie hervorragend angenommen wird."
Kunst als Programm
Nach dieser Anfangs-Erfolgsstory konnte der gesamte Masterplan mittels der Ergänzung eines Themenhotels realisiert werden. Auch hier bedienten sich die Bauherren nicht der in der Branche verbreiteten, weitgehend standardisierten Folklore-Planungen, sondern blieben ihrem kulturellem Anspruch - und damit dem Architekten treu. Steven Holl entwarf dafür eine geradezu metaphorische Form über den Erdgeschoßstützen entwickelt sich mit dem Obergeschoß eine pilzförmig auskragende Grundstruktur. Diese Formentscheidung ist doppelt intelligent, denn sie bedient einerseits die Erwartungen eines deutlichen Symbols in der Landschaft und ermöglicht andererseits ein künstlerisches Programm, das um die organoide Formtradition kreist. Die Symbolebene ist Marketinginstrument, dazu dienen Wellness-Schlagworte wie "aus der Erde gewachsen", während die künstlerische eine Reihe von Details inspiriert, die auf die Geschichte der modernen Architektur anspielen. So erinnert schon die charakteristische Silhouette des Gebäudes an Friedrich Kieslers Vision eines .Endless House", die dieser austro-amerikanische Avantgarde-Pionier in den 1950er Jahren entwickelt hatte. Betritt man die Lobby des Hotels, so fällt als erstes der dominierende Gelb-Schwarz-Akkord des Interior Designs auf. Gelbgestrichene Rundsäulen sind mit dem gelben Boden durch gelbe Hohlkehlen statt klassischer Säulenbasen verbunden, eine Gruppe ungewöhnlicher schwarzer Sitzmöbel zieht die Blicke auf sich und entpuppt sich - auch durch ein an die Wand gemaltes Zitat des Designers - als Entwurf von Friedrich Kiesler, der mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung erstmals vom Design-Möbelhersteller Wittmann aus dem nahen Etsdorf am Kamp in Serie produziert wird. Auch die übrigen Bereiche des Hotels folgen einer präzisen Farbregie und Designphilosophie. Holl selbst hat dafür etwa Restaurant-Sitzmöbel entworfen, die ebenfalls von Wittmann ausgeführt wurden. So wie die markante Lampe über der Bar und wie ein Bodengestaltungsmotiv im Spa-bereich setzen sie die Geschichte des organoiden Designs fort, die gerade in der US-Avantgarde durch die intensive Aufnahme surrealistischer Inspirationen seit den 1940er Jahren eine große Tradition hat.
Exklusive Destination
Die Vermarktung des Hotels als Haus für individuelle Gäste mit speziellen Interessen und hohen Ansprüchen ermöglichte nicht nur eine Designer-Strategie, sondern forderte sogar explizit deren Umsetzung. Neben dem Farbkonzept (Gelb für die Lobby, Rot für das Restaurant, Grün für den ausgedehnten und lustvoll durchgeformten Spa-Bereich) gehören dazu natürlich auch die individuell ausgestatteten Zimmer mit Werken verschiedenster Künstler sowie zahlreiche weitere Design-Details wie die Lichtregie in den Korridoren, die gleichzeitig rohe und elegante Aluminiumfassade, eine Bibliothek zu Kunstthemen und die Freiraumgestaltung von den Grazer Landschaftsarchitekten ko a la, die hierfür individualistische "pocket-gardens" entwarfen. Die räumliche Grundkonzeption des Hauses als offener vierseitiger Hof um einen Pool mit dem seitlich durch Glaswände einbezogenen Restaurant erfüllt viele Anforderungen des Tourismus im obersten Preissegment. Mit dem Hotel ist nicht nur räumlich, sondern auch im Kategorienspektrum der Gesamtanlage eine Vervollständigung erreicht. Denn die Erlebniswelt des Loisium ist vorwiegend für Tagestourismus konzipiert, während das Hotel weitergehenden Ansprüchen dient. Als eine von weltweit nur 20 AVEDA-Destinationen (eine internationale Marke für „the art and science of pure flower and plant essences") bietet sein Spa-bereich entsprechende Exklusivität. Vor allem das Hotel zeigt dabei, dass eine durchdachte und anspruchsvolle künstlerische Konzeption, die aktuelle und historische Referenzen bedient, jederzeit marktfähig ist. Und dass die touristischen Betriebserfordernisse keineswegs zu Lasten der Gestaltung gehen müssen, sondern sie im Gegenteil - bei entsprechender thematischer Programmierung des Betriebs - sogar intensiv stimulieren können.
Photos: Margherita Spiluttini
Text: Mathias Boeckl (architektur aktuell 1-2./2006)